Gewebte Bänder rund um die Ostsee
von und bei Anneliese Bläse
19. Jahrh.

Besondere Webtechniken:
aus Karksi, Estland
Archaische Muster

Für diese Muster habe ich den estnischen Ausdruck „archaisch“ wörtlich übernommen, weil er so gut ausdrückt worum es sich handelt.
Sie sind der älteste Versuch, mit bescheidenen Mitteln in das einfache Schussbandmuster etwas Abwechslung zu bringen.
Sie entstehen, wenn aus der einfachen 1:1-Ripskette einige Fadengruppen angehoben oder herunter gedrückt werden.

Aus Estland
hier ein paar Beispiele für "archaische Gürtel", links 2 Musterzeichnungen, rechts 2 Originalgewebe.. 

arch1
arch2
arch3
arch4

Eigener Versuch

Ich habe den ersten Gürtel oben selbst nachzuweben versucht. Dazu nahm ich gewöhnliches Topflappengarn für die dicken, bunten und einfaches Baumwollgarn für die dünnen, weißen Fäden.

FädelschemaZuerst machte ich eine Musterzeichnung. Da sich herausstellte, dass mein Kamm zu wenig Plätze hatte, habe ich es etwas vereinfacht.
halber Mittelfaden>>

Mein Versuch                                                                                                           Das ist dabei herausgekommen:

                                                                         Die weißen Punkte verschwanden leider unter dem zu dicken Grün.


Museum ViljandiZum archaischen Gürtel die archaische Tracht

In Estland hat noch jeder Landkreis - ursprünglich Kirchenkreis - seine eigene Tracht. Der Norden ist industriell weiter entwickelt. Viele Leute die dort wohnen und arbeiten, erzählen von ihrem Elternhaus, einem Bauernhof im Süden. Eine scherzhafte Bezeichnung für die Bewohner Südestlands ist Mulgi. Das sind Leute, die gern in der Erde wühlen, ihr Stückchen Land geht ihnen über alles - fleißige Bauern. Davon hat der Mulgimantel, den die Dame auf dem Bild trägt, seinen Namen. Er wird auch viel von Männern getragen, lang, schwarz, mit rotem Besatz.
Stilgerecht gehört zu dem archaischen Gürtel, den die Frau trägt, der Wickelrock, - an der unteren Kante deutlich zu sehen -  auch schwarz mit rotem Besatz. Er wird »vaip« genannt, das Wort bedeutet Decke oder Teppich. Diese älteste überlieferte Form eines Frauenrockes in Estland geht noch auf die Frühzeit zurück, als die Schneiderkunst kaum entwickelt war, aber die Stoffe genau nach Maß gewebt wurden, eben damit man nichts abschneiden musste.
Ein weiteres wichtiges Trachtenteil ist die grüne Baumwollschürze, (die früher sicher aus Leinen war), wieder mit rotem Band eingefasst. Und dann hängt da in der Schürze noch ein wunderschön mit sogenannten Sonnenmustern besticktes Tuch mit Fransen. Auch diese Stickerei nennen die Esten »archaisch«. Auf meine Frage nach dem Gebrauch des Tuches kam die Antwort, etwas verlegen: »Damit fasst man zum Beispiel das Gesangbuch an, wenn man in die Kirche geht« . Welch schöner, uralter Brauch: Auf einer griechischen Ikone von 1600 sah ich die dienstbereiten Engel vor Jesus stehen – mit tuchverhüllten Händen.
Das eben noch sichtbare Ende von ihrem Schuhriemen zeigt, dass die Frau Pasteln trägt, die typisch estnischen, ledernen Bundschuhe. Da man in Estland, so ähnlich wie im deutschen Vogtland, das P fast wie B ausspricht, hat sich in der älteren Literatur die Meinung entwickelt, die Esten würden immer mit Bastschuhen herumlaufen.  Das ist ein Übersetzungsfehler.
   Aus dem Museum in Viljandi
     Foto A. B.

aus Halliste, Estland

In Lappland
werden
diese Muster auch gewebt, sieheißen dort „Blümchen und Punkte“.

Im schwedischen Lappland ist in den letzten Jahren durch die Saamestiftelse, die Samenstiftung die Kultur der Samen, Saami oder auch Sapmi gründlich erforscht worden. In den einzelnen Regionen gibt es Bücher zu kaufen, in welchen die Bandweberei, die vor Ort üblich ist, jeweils ausführlich dargestellt wird, samt Fachausdrücken auf Samisch und Schwedisch. Drei dieser schmuck gestalteten Veröffentlichungen habe ich kennengelernt und von einer Vierten erzählen hören. Mir scheint, die Stiftung hat junge Volkskundestudentinnen oder Absolventinnen zur Feldarbeit nach Lappland geschickt, und diese Büchlein sind die Ergebnisse ihrer Arbeit. Man bekommt sie nicht über den Buchhandel, sondern nur den Läden der jeweiligen Touristinfos. Leider kann ich nicht mehr reisen, ich würde zu gern selbst mal nachsehen. Mir fiel auf, dass die einzelnen Volksgruppen der Saami, ob nun in Umeå oder Inari, zum Teil recht verschiedene Webtechniken haben und auch verschiedene Worte für die gleichen Gegenstände oder Arbeitsvorgänge gebrauchen. Ich hatte bisher keine Ahnung dass es in der Sprache der Saami so viele unterschiedliche Dialekte gibt.

Eine ganz besondere Methode für die gelesenen Muster fiel mir auf. Manche Weberinnen fädeln nur die Fäden für das Basisgewebe in den Kamm ein und legen die Musterfäden lose oben darüber wie eine Extrakette. Irgendwie schaffen sie es, die Musterfäden in das Gewebe mit einzufügen, - wie sie das machen, ist aus den Fotos nicht zu erkennen, aus dem Text wurde ich auch nicht schlauer.

Für die einfachen archaischen Muster wird häufig der Webekamm mit 2 Lochreihen benutzt, mit dem man 3-schäftig weben kann.

Doppelte Lochreihe
Webekamm der Saami aus Torne in Schweden
mit doppelter Lochreihe zum Musterweben

Heimtali Museum Estland

Aus Norwegen und aus Estland

kennt man die archaischen Muster auch als Randmuster von sehr alten Bänder. Sie sind in anderer Fadenfolge
aufgezogen, wie unsere gelesenen Muster, nämlich Grundfaden zu Musterfaden 1:1 und nicht 1:2.
Diese Muster haben ihren eigenen Rhythmus. Für unsere Augen wirken sie manchmal sogar störend, wenn sie im "falschen Takt"
neben dem Hauptmuster in der Mitte herlaufen.
Vielleicht soll es aber so sein und hängt sogar mit
der Schutzzauberfunktion des Gürtels zusammen. Ist es möglich, dass die bunten Muster den bösen Geistern die Augen verwirren sollten, damit sie sich dem Gürtelträger nicht nähern konnten, so wie  das  Augenmuster auf den Flügeln den Schmetterling vor dem hungrigen Vogel schützt?
Was wissen wir modernen Menschen schon von Geistern?

Viele Bänder mit archaischem Rand finden wir in Estland, im Heimtali Museum bei Viljandi, das von Anu Raud betreut wird.  
Anu ist Professorin an der Textil-Hochschule in der Hauptstadt Tallinn. Mit ihren Studentinnen hat sie in den letzten Jahren besonders auf der Ostseeinsel Kihnu alte Trachten erforscht und dabei auch viele noch unbekannte Bänder entdeckt.


 Hier hat sie uns ein ganzes Bündel davon zum Fotografieren drapiert, alle mit
Randmustern >
Danke, Anu! 

Norwegen



< links ein norwegisches Beispiel
aus dem Folkemuseum in Oslo,
wo ich im Sommer 2000 fotografierte:         

11 Musterfäden in der Mitte und je 5 an den Rändern


Foto: Anke Sturm, Futura Baltika
   



Torpo
.....und weil ich die Verbindung zu den uralten Zeiten so interessant finde, noch ein 
Norwegischer Frauenrock, der sich auch aus der Frühzeit herleitet,
ein Trägerrock, der gleichzeitig Wickelrock ist, Tracht aus Torpo im Hallingdal .
Die Träger und der breite Saum tragen prachtvolle Stickereien, bei denen ein
leuchtendes Rot die Hauptfarbe ist.
In Uppdalen tragen die Frauen dazu ein gewebtes Band als Gürtel.

- übrigens, der russische Sarafan ist auch ein Trägerrock, der über der Brust gerafft ist,
und wird mit einem Band als Gürtel getragen.

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