Gewebte Bänder von und bei Anneliese Bläse

Wickelkind und Windelband

Allerlei aus meiner Sammlung

Als ich klein war, sang meine Mutter ein Lied:

Auf dem Berge da wehet der Wind,

da wiegt die Maria ihr Kind,

mit ihrer schlohengelweißen Hand.

Sie braucht dazu kein Wiegenband.

Schum – schei – schum – schei......

Damals wollte ich alles ganz genau wissen und stellte viele Fragen . Als gelernte Säuglingsschwester wusste Mutti Bescheid und antwortete mir  geduldig.

Mutti, was ist denn eine schlohengelweiße Hand?“
Eigentlich sagt man schlohweiß, das kommt von Schlossen, du kennst doch Hagelschlossen. Wenn es viel hagelt und sie liegen bleiben, ist es so weiß, als ob es geschneit hat. Schlohweiß ist das selbe wie schneeweiß. Weil die Maria so schön wie ein Engel ist, hat der Dichter auch noch schloh-engel-weiß daraus gemacht.“

Mutti, warum ist sie denn oben auf den Berg gegangen, wenn es da so kalt und windig war?“
Ach, Kind, Maria war arm, sie konnte es sich nicht aussuchen, wo sie sich hinsetzen wollte.“

Mutti, was heißt denn schum-schei?“
Das ist das Geräusch, welches die Wiege beim Schaukeln macht, sie knirscht leise und gemütlich mit den Kufen auf dem Boden schum-schei, schum-schei, so wie du bei einer Glocke bim bam, bim bam sagst.“

Mutti, was ist denn ein Wiegenband?
Ein schönes buntes Band, das an der Wiege festgemacht wird. Daran zieht man, damit sie schaukelt. Aber Maria hatte keines. Sie bewegte die Wiege mit ihrer Hand.“

Jaaa, mit der schloh-engel-weißen - “

Nadeldose aus Elfenbein
Nadeldose aus Elfenbein


Was mir beim Thema Wickelkind so einfällt

Als ich 60 Jahre alt war, entdeckte ich die Bandweberei als spannendes Rentner-Hobby. Ich lernte nicht nur die uralte Handfertigkeit, sondern begann auch alles zu sammeln, was irgendwie mit diesem Thema zusammenhängt. Natürlich bin ich dabei auch Wickelkind, Windelband und Wiegenband wieder begegnet. Hier einige Beispiele:

Das Wiegenband


Wiegenband
Früher glaubte ich, dass das Wiegenband nur dazu da wäre, die Wiege zu schaukeln.

Als ich mich jetzt mit  Abbildungen von Wiegen mit Bändern beschäftigte,
wurde ich eines besseren belehrt:
Das Wiegenband war vorwiegend dazu da, das Kindchen fest zu halten,
das arme, eingewickelte, das sich sowieso schon nicht rühren konnte,
damit es auch ja nicht aus der Wiege purzelte
bei dieser hoch aufgetürmten Matratzenwirtschaft.

Auf dem Bild von Dürer weiter unten ist das Unterbett noch höher als hier.



Heilkräftige Bänder?
Bänder, die man den Gebärenden um den Leib legte, um die Geburt zu erleichtern, waren oft der heiligen Nothburga geweiht.
Noch bis ins 20. Jahrhundert konnte man sie z. B. in Eichstädt kaufen.


                                                                Der Glücksknoten Sigurlykkja                                          

Glücksknotenwurde mir geschickt von Marled Mader aus dem Westerwald.  Danke, Marled, für die Erlaubnis, ihn hier zu veröffentlichen!
Sie hat ihn in dem kleinen Textil-Museum Blönduós auf der Insel Island fotografiert.

In der Mitte sieht er aus wie der bekannte Weihnachststern vom Papa Fröbel aus den 4 Papierstreifen, 

aber er ist eine Schleife mit 3 Schlaufen, aus nur einem gewebten Kettripsband gebunden.

Allen weiblichen Wesen, gleich ob Kuh, Schaf oder Menschenfrau, verhilft er zu einer leichten Geburt ihres Kindes. 

Außerdem vertreibt er Kankheiten und böse Mächte aus dem Haus.

Die beiden offenen Enden sind nötig für den Kontakt mit den kosmischen Mächten, die er - gefiltert durch alle seine Windungen - als gute, heilsame Kräfte weitergibt.

Nachdem ich herausgefunden hatte, wie er gebunden wird,  musste ich schnell ein paar eigene Glücksknoten basteln.

Glück1 Glück3 Glück2

Nach der Entbindung 

wurde das Kind fest in Windelbänder gewickelt. 

Das sollte helfen, die Arme und Beine gerade wachsen zu lassen 

und dass der junge Mensch eine aufrechte, stolze Haltung bekam. 

Diese Sitte ist seit der Römerzeit nachgewiesen


Wickelkind2



             Und so wurde gewickelt, wie ein (Gips)-Verband
!                

   




In einem römisch besetzten Lande

kam vor über 2000 Jahren ein Kindlein zur Welt.

So erzählt der Evangelist Lukas: Maria gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“
Leider kann ich keine alten Sprachen und weiß die Urbedeutung des Wortes nicht, welches Martin Luther mit „Windeln“ übersetzt hat. Unser deutsches Wort kommt von winden, das bedeutet fast das Gleiche wie wickeln. Wahrscheinlich waren es schmale Leinenstoffstreifen. Jedenfalls hielt der Arzt Lukas diese neue römische Methode der Säuglingspflege für so wichtig, dass er sie ausdrücklich erwähnte und damit Maria als gebildete, fortschrittliche Mutter in ihrer Zeit darstellte.

Unter den unzähligen  Mariendarstellungen, die ich kenne, trägt sie nicht ein einziges Mal ihr Kind im Tuch auf dem Rücken, wie es die Frauen in den meisten südlichen Ländern doch heute noch tun. Das Christkindel ist auf den meisten Gemälden in 2000 Jahren Geschichte nackt, trotz der Windelgeschichte.
Der erwachsene Jesus spricht jeden Menschen, der ihm begegnet, als eine individuelle Persönlichkeit an. In der Kunst wird uns auch das Kind Jesus von seiner Mutter als freie Persönlichkeit vorgestellt, jedenfalls meistens.

Pst, nicht weitersagen:

Der Riesenerfolg des römischen Reiches beruhte vorwiegend darauf,
dass römische Soldaten so übermäßig brave und gehorsame Untertanenseelen hatten.
Kein Wunder, sie waren zwar nicht schief, aber sicher viel zu fest gewickelt worden.
„Die spinnen, die Römer“. Aber wir ahmten sie nach - und das bis ins 20. Jahrhundert! 

Ein Holzschnitt von Albrecht Dürer

Heilige Familie

Das Bild ist 1501 /02 entstanden und zeigt die Heilige Familie in ihrem Alltag: Josef, den Zimmermann, bei seiner Arbeit, und Maria, die sich beim Kindelwiegen mit Spinnen beschäftigt.

Ein ganzer Schwarm von kleinen Puttengelbuben arbeitet mit Holzresten und Spänen eifrig rund um Josef herum, während drei große Engel und ein kleiner sich um Maria und das Kind in der Wiege drängen.

Wie wir es heute häufig auch von Tauffotos kennen, kommt die Hauptperson, das Kindchen, in dieser Darstellung etwas zu kurz, weil der Künstler über alles andere so viel zu erzählen weiß.

Der große Meister Albrecht Dürer hat hier sogar noch Gott Vater im Himmel mit der Taube des Heiligen Geistes untergebracht. Die hohen Gebäude, die den Raum zwischen Himmel und Erde überbrücken, lassen mich eher an Nürnberg als an das Heilige Land denken. Eine schön gerundete Außentreppe führt zu einem etwas zerfallenen Wirtschaftsgebäude. Sie gibt gute Gelegenheit, die neu entdeckte Kunst der Perspektive geschickt anzuwenden.

Auch der Brunnen, das pulsierende Herz der Stadt, darf nicht fehlen. Der Weg führt weiter durch ein gemauertes Tor, entlang an grünbewachsenem Bergeshang, von der Höhe grüßt eine Burg mit runden Türmen, welche mich auch sehr an die Bilder auf alten Lebkuchendosen erinnern.

Das Kindlein in der Wiege ist kaum zu sehen vor lauter Wiegenbändern. Maria, fleißig spinnend, schaukelt es - hier
mit züchtig verhülltem Fuße.



Wickelkinder als Nadeldosen oder Riechfläschchen

kunstvoll gefertigt aus Elfenbein oben, Porzellan, oder gar Silber, waren im 18. Jahrhundert beliebte Geschenke für junge Frauen

Nadeldose 2

Nadeldose 3

<<Porzellan
Silber>>


Und die Schere im Nähzeug der jungen Frau war passend zu den Kindlein-Dosen der vergoldete Klapperstorch

Storchschere

Man kann ihn heute noch auf Märkten so kaufen.

In Norwegen habe ich etwas entdeckt:
Lindeband für Alte und für die ganz Jungen.

Aus Hordaland in Norwegen erzählt Eilif Steinsland:
Hier werden die Bänder zuweilen Lind genannt, Mehrzahl Lindar. Das Wort kommt von dem Verb linde, d. h. wickeln, umwickeln, umgürten und geht auf den Bast der Linde zurück, den man in alten Zeiten als Verbandsmaterial verwendet hat.
(Auch im Deutschen: lind = weich, lindern = heilen )
Lindar zu machen war so etwas wie eine Kunst. Nicht alle konnten das lernen.

Bettband
Das Bettband für die alten Leute

Alte Leute gebrauchten solche Bänder am liebsten als "Bettband". Das eine Ende wurde am Dachbalken befestigt, das andere hing lose über dem Bett, so daß man den Knoten am Bandende mit den Händen erreichen konnte. Beim Aufrichten oder Hinlegen im Bett war das eine Hilfe. Ich habe es so bei meiner Urgroßmutter gesehen.

Aufgeschrieben bei Nasjonalforeningens minneoppgave Nr. 12 026
Übersetzung aus dem Norwegischen: Anneliese Bläse



Auch aus Pommern gibt es Berichte über Bettbänder.

Heutzutage sind sie in Krankenhäusern, zu Galgen geworden, nicht weniger hilfreich.

Dieses Bettband fand ich in Dänemark
Es entstammt vornehmer Stadtkultur
und hat den Knoten verdeckt mit einem

feinen, gedrechselten Holzgriff.

 




Lindeband = Wickelband oder Windelband

Text und Foto aus dem Folkemuseum in Oslo:
Übersetzung aus dem Norwegischen: Anneliese Bläse
In Norwegen allgemein ist das Lindeband das Wickelband für Säuglinge. Ein Lindebarn ist ein Wickelkind

Außen um die Windeln wurde das Wickelband (Lindeband) herum gewickelt. Das besonders schöne Band zur Taufe nannte man auf dem Lande ”Christenband”, und das Band, das ganz außen um das Tauflaken oder die äußerste Decke herumgelegt wurde, hieß Windelband. Es sind schön gewebte Bänder mit feiner, abwechselnder Musterung, hochstehende Erzeugnisse der alten Textiltradition auf dem Lande. Eine große Anzahl von Windelbändern ist aufbewahrt worden, hergestellt in allen verschiedenen Bandtechniken, die man in Norwegen kennt. Diese Techniken sind sehr alt und viele von ihnen haben in anderen Ländern außer Norwegen gar nicht überlebt.

Gemustert gewebte Wickelbänder sind die älteste Form von gewebten Bändern hier im Lande. Das Material ist reine Wolle und gebleichtes, glänzendes Leinen, ungefähr bis 1850. (Dann kam die Baumwolle auf). Die klaren Farben der Muster aus Wollgarn heben sich prächtig von dem weißen Leinen ab. Rot ist die Hauptfarbe, mit Zusatz von ein wenig Blau, Grün und Gelb, samt ungefärbter Wolle von schwarzen Schafen. In späterer Zeit findet es sich, daß die Muster nicht mehr gleichmäßig über die ganze Bandlänge von 4-5 Metern fortlaufen. Auf den meisten Taufbändern sind Kreuze in verschiedenen Abwandlungen zwischen die alten Muster eingefügt.


Lindebarn






Modell eines norwegischen Wickelkindes

im handgewebtem Lindeband,
grün und rotes Wollmuster auf weißem Leinengrund

Dieses Lindeband ist einer von mehreren Beweisen, dass die Indianer in Amerika das Bandweben, hier sogar das Pebblemuster, von den frühen europäischen Einwanderern gelernt haben. Dies weist in einem Aufsatz aus dem Jahr 1901, der sich auch auf noch ältere Berichte  über die "narro ware" der verschiedenen Stämme, wie z. B. Hupil oder Navajo, bezieht,  der Ethnologe Otis Tufton Mason, Curator am U.S. Nationalmuseum nach. Während die Weißen die alte schöne Kunst völlig vergessen haben, wurde sie von den Ureinwohnern Amerikas aufgegriffen, Webkämme aus dort greifbaren Materialien hergestellt, und das Weben zu großer Kunstfertigkeit weiter entwickelt.




Nicht mehr gewickelt und auch sonst modern erzogen
wurden ich und meine eigenen Sprösslinge

Trotzdem erhob sich zuweilen die Frage: Woher kommen die kleinen Kinder? Tja, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Im Allgemeinen wurden sie ja vom Storch gebracht. Der hat überall so seine Plätze, wo er sie holen kann. Jedenfalls glaubten die Erwachsenen, dass sie das den Kindern unbedingt so erzählen müssen.

In meiner Heimatstadt Hof in Oberfranken war es der Pfaffenteich am nordöstlichen Stadtrand. Dummerweise hatte meine Mutter uns bereits „aufgeklärt“, und wir fanden es  gar nicht mehr so interessant, als uns Omi diese Geschichte erzählte.

In Estland kommt der Storch über das Meer geflogen. Aber weil er im Winter ja nicht da ist, läßt er sich dann vom Schwan vertreten, denn der fliegt nicht nach Afrika. Und weil der Schwan nicht so stark ist, muss er sich unterwegs öfter ausruhen. Die Esten zeigen den Touristen einen riesigen Findlingsblock am Ufer der Ostsee, das ist der Schwanenstein, da macht er immer Pause.

Und dann gibt es da noch die lustige Geschichte von der Tante Margarine. Sie heißt eigentlich Annemarie, aber unser 3-jähriger Jürgen konnte sich unter Margarine eher etwas vorstellen, als unter dem fremdartigen Namen. Sie war unser guter Geist im Haushalt, als ich mit unserem 3. Sohn Martin schwanger war. Natürlich hatte ich meine Jungs „aufgeklärt“, so wie meine vorbildliche Mutter mich. Sie durften auch mal hinfühlen, wenn das Baby in meinem Bauch strampelte, und wir warteten zusammen dass es kam.

Jürgen pflegte allen Leuten begeistert zu erzählen: „Wenn das Baby aus Muttis Bauch rauswill, dann kommt die Tante Lorenzen mit ihrer großen schwarzen Tasche und hilft der Mutti dabei, und wir Jungs gehen inzwischen zur Großmutter rüber.

Eines Tage bekam diese Geschichte einen neuen Schluss: „...zur Großmutter rüber, und da ist dann ein Storch.“

Ich fragte erstaunt: „Wer hat dir das denn gesagt?“

Jürgen schenkte mir sein unwiderstehliches Lächeln von einem Ohr bis zum anderen: Die Tante Margarine.“

Als wir wieder einmal bei Großmutter im Wohnzimmer waren, zog er mich zum Blumenfenster: „Guck mal, er ist schon da, die Tante Margarine wusste das bloß nicht.“

Zwischen Großmutters Blumentöpfen stand ein langbeiniger Vogel, kunstvoll geschnitzt aus einem Kuhhorn. Natürlich ja, der Storch, er stand schon immer da bei der Großmutter.





Zum Schluss eine Indianerin aus Peru mit ihrem Kind.

Peru

Das Band ist ganz aus Wolle gewebt, vielleicht sogar Lamawolle, und schützt sicher vor der Kälte im Gebirge.
Ich glaube nicht, dass sie von den Römern beeinflusst ist. So fest ist das auch gar nicht gewickelt.


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