Vom
„Weben auf dem Fuße“
Eine uralte Bandwebmethode, in Estland wiedergefunden von Anneliese
Bläse


Diese
Randbemerkungen - für das Thema Brettchenweberei eigentlich
nebensächlich - sind mir aufgefallen, weil ich schon
lange die nebenstehende Zeichnung
kannte, die mir rätselhaft war.
Sie stammt aus dem über 100 Jahre alten, auf deutsch geschriebenen
Buche von Axel O. Heikel: „DIE VOLKSTRACHTEN IN
DEN OSTSEEPROVINZEN UND
SETUKESIEN“. Heikel war Anfang des 20.
Jahrunderts der erste Leiter des
Seurassari-Freiluftmuseums in Helsinki.
Er
hat ausnahmsweise zu diesem Bildchen keinen erklärenden Text
geschrieben, wahrscheinlich, weil er selbst schon nicht mehr wußte, wie
man eigentlich
damit webt. Geben wir doch zu, die Angaben jenes
isländischen Gelehrten setzen voraus, daß die Weberin 3
Hände hat!
Als
meine junge estnische Freundin Ingrid Biin mich durch Lääne-Virumaa
fuhr, um einige Bandweberinnen zu treffen, die mit dem Kamm ihre
Trachtengürtel webten,
sagte sie nachdenklich: “Ja, und
dann gibt es da noch das Weben mit dem Schwert. Ich habe mal davon
gehört, aber ich weiß nicht, wie es geht. Mit dem
Schwert?“
Sie fragte auch deshalb, weil sie unsicher war, ob
sie das Schwert richtig übersetzt hatte. Das konnte ich
ihr bestätigen,
und hatte dabei dieses Bild von
Heikel >>
vor Augen:
Damals konnte ich ihr nur sagen, daß das
hölzerne Gerät zum Anschlagen der Schußfäden
schon in alten
Zeiten als Schwert bezeichnet wurde,
daß mein norwegisches Webschiffchen,
eigentlich eine Kreuzung zwischen Schiffchen und Schwert ist,

1.
Prähistorisch (aus einem
neolithischen Pfahlbau, Robenhausen, Schweiz) 17,5 cm lang.
2. Norwegen Österdalen, Hedemark, 35 cm lang. -
3. Pueblo-Indianer. -
4. Müden, Kreis Gifhorn, 26,5 cm lang. -
5. Pyhajärvi, Karelien,
Finnland, 54 cm lang.
D
Ich habe auch Emilia, eine Indianerin
aus Guatemala, am
Rückengurt
weben sehen, mit einem
wunderschönen, blank polierten, altersbraunen Holzschwert, das sie schon von ihrer Mutter gerbt hatte.
Von ihr erfuhr ich, daß die Maya-Frauen, ihre Vorfahrinnen, schon vor
2000 Jahren so
gewebt haben. Stolz fuchtelte sie dabei mit ihrem Webschwert herum,
Stettiner
berichtet, daß in verschiedenen Teilen der Erde die webenden
Frauen das Schwert durchaus auch dazu gebrauchen, sich gegen
zudringliche Liebhaber oder gar Räuber zu wehren. Was
soll die Frau auch machen, weglaufen kann sie ja nicht, wenn sie bei
der Arbeit festgebunden ist.
Also
alle Achtung vor dem Webschwert!
Im Juli 1996 war ich mit meinem Mann einmal wieder auf einer Rundreise durch Estland. Wir besuchten unter anderen auch die Lehrerin Anne-Elss Hiiop in Tamsalu, Kreis Rakvere. Sie hatte eine besondere Überraschung für mich. Eine Kollegin von ihr webte gerade an einem Gürtelband: „Aber sie macht es ganz anders, als du,“ sagte Anne-Elss, „wenn du es sehen willst, rufe ich sie an, sie wohnt hier in der Nähe und kommt gleich rüber und zeigt es dir.“
genau, was ich
daneben mühselig mit Worten zu erklären versuche:
An
der Stelle a sind die Fäden so um einen runden Holzstab, ein
glatt geschliffenes Stück Besenstiel von etwa 20 cm Länge,
gewickelt, daß sie ein geordnetes Kreuz bilden und dabei das
Holz festhalten, daß es nicht verrutscht.
Dann der kleine
Litzenstab b, genau wie oben auf der Zeichnung: Ein handbreit langes
Stöckchen
mit den weißen Garnschlaufen, durch welche jeder 2. Faden der
Kette
gezogen ist,
danach der Teil der Kette, an dem gearbeitet
wird und das Stück fertiges Band, das langsam um den Rücken wächst.
Die übrige
Kette, welche sich zwischen dem großen Stab und dem
Bandanfang befindet, ist mehrfach abgebunden, so daß man das
Ganze getrost wegpacken kann.
Als
weiteres Werkzeug hatte sie auch ein großes axtförmiges Holz,
ähnlich
dem "Schwert" c in der Zeichnung oben,
und der Schußfaden d
war auf eine kleine Papphaspel gewickelt.
Nun ging es los. Als erstes zog sie ihren linken Schuh aus, Strümpfe hatte sie nicht an, es war Sommer. Dann setzte sie sich auf einen Stuhl, den Anne ihr hinschob und sagte dazu: „Zuhause habe ich das natürlich bequemer, da sitze ich auf meinem Bett. Das paßt dann ganz genau.“ Anne schob ihr einen zweiten Stuhl so vor die Knie, daß der Sitz zu ihr hinschaute. Um diese Stuhllehne und um ihren Körper legte sie die Kette und stemmte den linken Fuß so gegen diesen 2. Stuhl, daß sie gespannt war. Nun hatte sie also auf ihrer rechten Seite das unbearbeitete Stück Kette mit den bunten Abbindefäden, unter ihrem linken Arm kam das angefangene Band hervor, der kleine Litzenstab mit der weißen Fadenschlaufen lag auf ihrem linken Knie. Die Musterzeichnung legte sie neben sich und stöhnte wieder, daß das auf dem Bett zuhause viel bequemer wäre.
Das Muster war ein für Lääne-Virumaa typisches 8-Sternmuster in dunkelblauer und dunkel-und hellroter Wolle auf naturweißem Leinengrund, mindestens 25 Musterfäden breit, liebevoll mit Buntstift auf großkariertes Schulheftpapier gezeichnet. Die Vorlage war so breit daß ich Mühe hatte, das ganze Muster zu überblicken.
Beim Weben hat sie nun die ungespannte Kette flach auf dem linken Oberschenkel liegen, kämmt sie noch etwas mit den Fingern glatt und liest mit den Fingern aus der gesamten Fadenmenge die Musterfäden heraus, die für den nächsten Schuß gebraucht werden, dann hebt sie den Litzenstab mit der freien Hand und spannt dabei mit dem Fuß die Kette, spreizt das Fach mit der Hand auseinander und schiebt den Schußfaden durch. Danach schlägt sie mit dem Schwert an. Auf diese archaisch-mühselige Weise webt sie Schuss um Schuss einen gleichmäßigen Gürtel von vier bis fünf cm Breite.
„Es
geht sehr langsam“, sagt sie selbst. Anne-Elss will eine
Diskussion über Webmethoden anfangen, weil sie gesehen hat, daß
es bei mir viel schneller geht. Aber ich merke, daß die Weberin nicht
diskutieren möchte und hüte mich, Verbesserungsvorschläge
zu machen.
„So
habe ich es eben gelernt. Es gibt bei uns auch Leute, die mit
Vöökudumise (Bandwebe) oder Vöösuga (Webkamm)
arbeiten, es gibt verschiedene Methoden, und jeder webt bei uns, wie
er mag,“ sagt die Weberin. Und dann erzählt sie uns, daß
sie eigentlich das Band nur für eine alte Frau fertig webt, die
es jemandem versprochen hat und schon angefangen hatte, aber weil sie
nicht mehr gut sieht, lauter Fehler hineingewebt hatte. Sie hat
schon ein Stück auftrennen müssen. „Eigentlich ist
das gar nicht mein Ding,“ erklärt sie und zieht plötzlich
einen dicken wollenen Strickpullover aus ihrer Tasche: “Das hier, das
macht mir Spaß, damit verdiene ich auch ein bißchen
Geld!“ Bei der mühsamen Methode verstehe ich das durchaus.
Hab
Dank fürs Zeigen, liebe Weberin, deren Namen ich nicht einmal behalten
habe, denn nun weiß ich endlich, wie man „mit
dem Schwert“ und „auf dem Fuße“ webt!

Inzwischen sind mir noch mehr Fußweberinnen begegnet.
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