Gewebte Bänder von und bei Anneliese Bläse
Besondere Bandwebtechniken

Die Ringkette mit dem Litzenstab

Ringkette
Ehe der Webkamm erfunden wurde, hat man auch diese Bänder mit dem Litzenstab gewebt. In Estland verwenden die Frauen noch heute diese einfachsten Geräte, gerade für ihre breiten Bänder mit 35 und mehr Musterfäden, denn die beweglichen Litzen spreizen das Band nicht so auseinander, wie der steife Webekamm.
Vor etwa 10 Jahren habe ich eine junge Frau
kennengelernt, von Beruf Physiklehrerin am Gymnasium in Tamsalu in Estland, die webte sogar noch "auf dem Fuße". Das ist eine noch ältere Technik, von der Magarethe Lehmann-Filhes in ihrem Buch in einer Fußnote schreibt, sie sei in Island üblich. Sie ist oder war aber auch in Indonesien bekannt und bei den Pueblo-Idianern aus der südlichen USA.
Sie alle verwenden eine geschlossene Kette e, den Trennstab a, den Litzenstab b, das Schussgarnknäuel d, ein hölzernes Messer, um die Musterfäden für den jeweiligen Schuss aufzulesen
(nicht auf der Zeichnung, aber auf dem Bild unten links), und ein hölzernes Schwert c zum Anschlagen.

Diese Zeichnung stammt aus Estland, das Schwert sieht, typisch estnisch, mehr wie ein Beil, aus.
Doch  auch die Pueblos verwenden diese Beilform. Irgendwann, zur Zeit der allerersten Siedler, müssen sie von diesen das Bandweben gelernt haben, denn es ist nachgewiesen, dass sie vor Ankunft der Spanier keine Textilkultur hatten. Das war kurz bevor hier in Europa die ganze Bandweberei mit dem heraufkommenden Industriezeitalter vergessen wurde. Die Indianer haben unsere alte Kultur übernommen, bewahrt und weiter entwickelt!

Die Weberin setzte sich gemütlich auf ihr Bett und zog das Kettgarn so um ihren Rücken, dass die Arbeitsstelle auf dem linken Oberschenkel zu liegen kam. Den linken Fuß (oder beide Füße) steckte sie auch in diesen Garnring und spannte damit die Kette. Das Muster las sie mit dem Holzmesser heraus, während alle Fäden ohne Spannung auf ihrem Bein lagen. Dann spannte sie das Garn mit dem Fuß und zog am Litzenstab, so entstand das Fach, die benötigten Musterfäden wurden nach oben  geholt. Das Schussgarnknäuel wurde durchgesteckt und der Schussfaden angeschlagen, nun die Spannung wieder nachgelassen und die nächsten Musterfäden herausgelesen. Keine sehr schnelle Methode, aber es funktioniert, und das schon seit Jahrhunderten!

Was haben deutsche und estnische Bandweberinnen gemeinsam? Sie wissen die Unverrückbarkeit der Heizkörper zu schätzen!
2002 in Tallinn: Hier schauen wir einer modernen estnischen Bandweberin auf die Finger. Die Ringkette ist geblieben, aber am Heizkörper befestigt.
Litzenstab und Lesemesser
35 Musterfäden
Das Telefon klingelt.
Die junge Mutter ist
beim Bandweben und
hört die Stimme ihres 6jährigen Sohnes:
"Meine Mutti kann jetzt nicht kommen,
die ist am Heizkörper festgebunden!"
Bums, legt er den Hörer auf.

       
    Gut zu sehen: Sie zieht am Litzenstab und bildet das Fach.                                                                      
    In der Hand hat sie das hölzerne Lesemesser                                                                                                                                                                                                                                                             Das Gürtelband hat 35 rote Musterfäden        

Viele schöne bunte Bänder weben die Frauen in Estland auf diese Weise, hier ein paar Beispiele vom Handarbeitsverband in Tallin, Mai 2002   
Gürtelbänder

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