Gewebte Bänder rund um die Ostsee
Wegen der vielen Bilder bitte ich um etwas Geduld

Aus meiner Schatzkiste:

                    Der Webekamm
Römerzeit

                                      ein Stück Kulturgeschichte der Menschheit


Niemand weiß genau, wann der Webekamm erfunden wurde.                                 

Die ältesten archäologischen Funde, die man bisher kennt, stammen aus der Römerzeit.
Es sind meist kleine Bruchstücke, hergestellt
aus Knochen, wie dieses hier rechts, es ist nur 6 cm hoch.
Jennie Parry, BRAID SOCIETY, England, hat es im Museum von London entdeckt und fotografiert.

Im Vergleich zum Litzenstab mit vielen beweglichen Fäden, die bei der Arbeit gewöhnlich dicht zusammenrutschen, ist der steife Kamm, in Englisch Rigid Heddle, ein großer Fortschritt für das Musterweben, weil er alle Webfäden immer im gleichen Abstand hält. Anstatt bei jedem Schuss seitlich in das Fach zu linsen, welche Fäden man nach oben zu holen hat, kann man jetzt von oben durch die Kette das untere Fadenlager deutlich sehen und braucht nur mit der Spitze des Schiffchens die gewünschten Fäden heraufholen zu denen, die im oberen Lager bereits vorhanden sind. Es braucht ein bisschen Übung, die Augen daran zu gewöhnen, aber genau diese Übung ist gesund für den Augenmuskel, hat mir ein Facharzt gesagt. Nur sollte man bei dieser Arbeit keine Gleitsichtbrille tragen, das strengt die Halsmuskeln zu sehr an.

Manche der kunstvoll ausgesägten oder geschnitzten Webekämme, die man heute in Museen findet, sind nur etwas für das Auge und taugen nicht zu ernsthaftem Gebrauch. Sie wurden als Kostbarkeit geschont, blieben ansehnlich und galten schließlich als wertvoll genug, in einem Museum ausgestellt zu werden. Zuallererst hatten sie jedoch einen anderen tiefen Sinn: Es waren Werbegeschenke – natürlich im alten ursprünglichen Sinn des Wortes – heute sagt man lieber Freiersgaben, obwohl dieser Ausdruck mindestens ebenso altmodisch ist, aber man muss sich ja absetzen von dem, was das Wort „Werbung“ heute bedeutet.

Nicht nur schöne geschmückte Mangelbretter verehrten die jungen Männer früher ihren Angebeteten, auch andere Hausgeräte, eben auch die Webekämme waren gern gesehen. Und zu diesem Zwecke wurden sie so liebevoll verziert, mit dem Namen der Liebsten, mit Jahreszahlen und Sinnsprüchen, mit Rosetten, Sonnen, Herzen, Blumen, Vögelein, ja sogar Pferden oder Wappen, oder auch mit ganz prosaischen Motiven wie stilisierten Garnknäulen.

Jedenfalls hieß es im Volksmund: „Nimmt sie den Kamm, dann nimmt sie auch den Kerl."

Dem jungen Mann sagte man: „Eine Deern, die beim Bandweben die Übersicht über die vielen Fäden behält, wird auch die Fäden in einem großen Bauernhaushalt fest in der Hand haben, du kannst sie getrost heiraten."

So war das früher.

Ich war schon 35 Jahre mit meinem Mann verheiratet, als ich die Bandweberei entdeckte. Aber er wollte den Alten nicht nachstehen und sägte und schnitzte mir eigenhändig einen schönen Kamm. Das Material ist amerikanischer Buchsbaum, ein Holz, das sich leicht verarbeiten lässt, nicht zu faserig ist und doch Festigkeit genug hat. Uwe ist ja eigentlich Metallhandwerker, aber als er - zugleich mit mir - in den Ruhestand ging, bekam er Lust, sich mal an Holz zu versuchen. Die Verzierung habe ich selbst entworfen, sie sind aber viel schöner geworden als meine Zeichnungen. Natürlich blieb es nicht bei dem einem Kamm. Hier sind sie alle 3:
Uwes Schönster
                          Für 83 Fäden
Uwes GrößterFür 83 Fäden Uwes Kleinster
Für 51 Fäden
Alle haben unten eine dickere Kante, damit sie schön schwer auf der Kette hängen. Bei dem Kleinsten binde ich trotzdem ein Gewicht in das Loch unten, wenn ich mit sehr steifem Garn arbeite.
Uwe hat mir auch einige Kämme aus Aluminium ausgesägt, mit denen es sich sehr gut arbeiten lässt. Einer davon besitzt auch eine  doppelte Lochreihe zum Dreischaftweben. Man kann damit ganz einfache Muster sehr schnell weben.

Eines Tage erzählte mir eine Freundin, dass sie in Garding auf der Halbinsel Eiderstedt im Schaufenster eines Antiquitäenhändlers "so ein Ding wo du mit arbeitest" gesehen hatte. Sie hatte mir die Adresse mitgebracht. Ein Telefonanruf, eine Überweisung, und ich wurde stolze Besitzerin eines echten 200 Jahre alten Webekammes. Das musste gefeiert werden!

aus Munkbrarup
Er stammt aus Munkbrarup in Angeln. 19 Löcher und 18 Schlitze, die interessanterweise gemeißelt und nicht ausgesägt sind, geben Platz für 37 Fäden, man kann also höchsten ein Muster mit 9 Fäden darauf weben. Aber diese Art Kämme wurden nur selten für die kunstreichen gelesenen Muster verwendet. Gewöhnlich webte man einfachen Kettrips darauf.
Ganz behutsam habe ich das Bändchen mit 7 Musterfäden angefangen, damit er nicht so nackt und bloß ist, denn das Holz ist sehr dünn und brüchig, er gehört nun wirklich in den Ruhestand. Ich habe ihn in einem Bilderrahmen an die Wand gehängt.

    Wer sagt denn, wo hier oben oder unten ist?                
Museum Plön  Kurz danach entdeckte ich hier in unserem Museum des Kreises Plön
fast das gleiche Modell, es stammt aus Wankendorf in Holstein.
Dieser Kamm ist 19x27 cm hoch, rechteckig, auch mit einem Herzen.
Das Holz ist sehr dünn und vom Alter fast schwarz.

Er hat 16 Löcher und 15 Schlitze, Platz für 31 Fäden.
Er ist auch
gemeißelt, nicht ausgesägt.
Im Museum trägt er ein Bändchen, das ich auf ihm angewebt habe,
damit man sieht, wozu er auf der Welt ist.
Wichtig zu wissen ist:
Das Herz gehört beim Weben nach unten und wird mit einem
Gewicht beschwert, weil sonst der leichte Kamm auf der Kette
zu tanzen anfängt, das stört bei der Arbeit.
Wird er gerade nicht gebraucht, dient das Herz als Aufhänger.

Beide Kämme stammen aus dem 18. Jahrhundert. Ihre Form scheint für Schleswig-Holstein typisch zu sein.

Nun denke bloß nicht, dass ich eine fanatische Kammsammlerin geworden bin. Dazu hätte ich weder den Platz noch die Euros.
Aber wenn ich mit den Augen etwas stehlen kann, bin ich sofort dabei.
So kam ich innerhalb von 14 Jahren zu der nachfolgenden Bildersammlung. In jedem Urlaub nahm ich meine Kamera mit in jedes Museum. Ein einziges Mal nur wurde mir das Knipsen untersagt. Und öfter bekam ich auch mal ein Bild geschenkt, Kopie vonner Kopie vonner Kopie... deshalb sind die Bilder auch manchmal nicht gerade 1. Qualität. Aber trotzdem: Viel Spaß beim Ansehen!

Du wirst hier vielen schön verzierten und nur wenigen ganz schlichten Kämmen begegnen. Im Alltag war dies Verhältnis genau umgekehrt, aber von den prächtigen Webekämmen sind natürlich viel mehr in Museen gelandet, als von den einfachen, praktischen Arbeitsgeräten. Die waren gewöhnlich so lange im Gebrauch und wurden immer wieder geflickt, bis sie ganz auseinander fielen.     

Lustig finde ich, zu beobachten, dass die Weberinnen früher die Bruchstellen an ihren Kämmen nicht geleimt, sondern zusammengenäht haben. Auf dem Bild von meinem alten Kamm ist das deutlich zu sehen. Auf vielen Bildern weiter unten kannst du auch Flickstellen entdecken, manchmal nur kleine Löcher rechts und links vom Bruch, oft ist aber noch der Nähfaden vorhanden.


Schlees FehlerMuseumsdirektoren
wissen auch nicht immer alles.
Dazu erlaube ich mir, hier ein Beispiel aus dem Büchlein  "Schleswig-holsteinische Volkskunst",
von Ernst Schlee, seinerzeit Landesmuseum
Schloss Gottorf in Schleswig, zu zeigen.





Dieser Webekamm war mit Sicherheit nicht für die Brettchenweberei verwendbar!
Siehe Bandweben, 2 Möglichkeiten

Aber ein schöner Kamm ist das, und sicher
mit der Hand gemacht,viel gebraucht und
auch schon geflickt.

!

Flensburg
Von meinem 1996 verstorbenen Schwiegervater habe ich ein uraltes Buch (ohne Jahreszahl, ohne ISBN) geerbt "Kunsthandwerk in Schleswig-Holstein" von Gustav Brandt, der meines Wissens Anfang des 20 Jahrhunderts Museumsleiter in Flensburg gewesen ist. Darin fand ich diese Webekämme. Leider fand ich sie aber bei 2 Besuchen nicht im Museum in Flensburg. Vieleicht liegen sie im Archiv.

1
  ORA & LABORA 1726 HR
2
LUST UND LIEBE ZUM DINGE
MAGET ALLE ARBEIT GERINGE

ANNO 1723         ANNA RORDEN

3
Flickstelle mit Blech beschlagen
4

1723
6
5
ANNO 1703         V + +  V+R
8
ANNO 1723
9


Ehemals Ostdeutschland                                                                                                                  Vorpommern

Die nächsten beiden Kämme stammen aus dem Memelland,                                                                                                                  ..und dieser
aus Mönchgut, Rügen, lag 1964 im
aus "Deutsche Volkskunst Ostpreussen" von Karl Heinz Claßen 1926                                                                                                     Museum für Deutsche Volkskunde, Berlin

memel1
Schwäne und Pferdeköpfe
Memel2
Mönchgut
Der viereckige Umriss bleibt trotz der vielen
Verzierungen erhalten, diese Art ist typisch für Pommern


Dänemark 

Jetzt gehen wir nach Nordjütland, in das kleine Museum von Saeby, Hier findet man die 100 Jahre alte Ausstattung einer ganzen Dorfschule. Dazu gehören auch einige Bandwebkämme, welche ich durch die Glasplatte in einer Schublade fotografiert habe.
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23
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Im Museum in Saeby gibt es überhaupt viel zu sehen. Es zeigt insbesondere die schwedischen Haarkullas, Künstlerinnen, welche Schmuck aus menschlichen Haaren anfertigen.

Schweden, Dalarna

Einige gibt es heute noch, ja, ich habe eine echte Haarkulla kennengelernt. Sie heißt Nina Sparr und wohnt in Dalarna, in Vaamhus am Siljansee. Ninas verstorbene Mutter hat aber auch eine umfangreiche Bandmustersammlung hinterlassen, denn neben der Anfertigung von Haarschmuck ist rund um den Siljan die Bandweberei noch sehr lebendig. 7 kleine Museen haben wir dort besucht. Hier in diesem Kapitel zeige ich nur die prächtigen Webekämme, die wir dort gesehen haben. Die Reise "Rund um den Siljan" wird noch geschrieben.


11




Schwed.4
Schwed.1 Schwed.3

Schweden 5
Schweden 6
Schweden 7
Schweden 8
Schweden 9


Schwedisch Lappland
  3Webekämme, die kunstvoll aus Rentiergeweih zusammengesetzt sind, der mittlere und der rechte haben 2 Lochreihen
14 Arctischer Webstuhl
15


NorwegenBondal in Telemark
Wenn man in Telemark von Tuddal aus weiterfährt am Bjaarsee entlang, vorbei am Gaustamassiv, hinauf in die Berge, dann kommt man, zuletzt nach Bondal. Dort verwandelt sich die Straße in einen Wanderweg, der durch den Wald weiter hinauf ins Hochgebirge führt.

Der ehemalige Schmied von Bondal hat auf seine alten Tage ein Museum eingerichtet.
Nicht nur alte Landmaschinen und Schmiedewerkzeuge, sondern alles, was er kriegen konnte, hat er gesammelt.

Ich entdeckte einige Gürtel und Haarbänder in Brettchenweberei. Als ich ihn nach Werkzeugen zum Bandweben fragte, zeigte er stolz auf einen Glaskasten:
Da standen drei urige Webkämme, sicher die ältesten meiner ganzen Sammlung. Auch Schiffchen waren dabei: Werkzeuge zum Bandweben wohl, aber Bänder dieser Art findet man in der Gegend leider gar nicht mehr.

Das Fotografieren bei der herrschenden Dunkelheit war nicht so einfach. Meine Automatikkamera wollte erst knipsen, nachdem ich mit Papiertüchern und Spucke den Staub von der Glasscheibe gewischt hatte. Es gab auch starke Spiegelungen, aber zum Glück nicht auf wichtigen Teilen. Alle drei Kämme waren aus solidem, dunkelbraunem Holz, hatten Gebrauchsspuren und Flickstellen.


Bondal 16

Auch dieser Kamm ist mit Fäden geflickt worden.
Hier ging der Bruch sogar quer zu den Kammzähnen. 
Platz für nur 27 Webfäden, also nur für ganz schmale
 Bänder geeignet. Darüber hängt ein Schiffchen.
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An der oberen Verzierung zerbrochen und mit weißer  Farbe bekleckst.
Im unteren Querteil dunkler gefärbte Schnitzerei. 31 Fadenplätze

18 Bondal

Am besten erhalten aber auch mit einer Flickstelle

Oslo

Und hier der
Königlich-Norwegische Superkamm
aus dem Norska Museet, Oslo
      





Er ist sogar mit Bleigewichten beschwert, von denen eines fehlt.
Das Bändchen, was er trägt, ist seiner Pracht jedoch nicht angemessen.
Ob ich mal frage, ob ich Nachhilfeunterricht anbieten soll?

Das Museum hatte 2002 eine sehr aufgeschlossene Handarbeitsstube -

                







                            Ein kleiner Gruß, sogar mit zweiter Lochreihe aus                                 und einer aus  
                         
                                Finnland                                                Estland           

21 25

Noch mehr Webekämme gibt es im Hesterbergmuseum in Schleswig
Da möchte ich unbedingt noch mal hin, du auch?
dann klick mal drauf


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